Der Johannes-Prolog – Teil 4

Viele haben versucht, die Worte von Johannes im Licht der Schrift unter Wahrung des jüdischen Monotheismus auszulegen.

Dazu gehört auch der Betreiber der englischsprachigen Webseite „The Trinity Delusion“ (deutsch: Die Irreführung der Trinität). Er stellt zuerst die Frage, welcher Anfang denn gemeint ist in Johannes 1, 1. Das ist, meiner Ansicht nach, eine gute Frage. Denn in den anderen Evangelien wird beispielsweise zu Beginn Bezug zum „Anfang des Evangeliums“ genommen.

Markus schreibt:

Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes; wie in dem Propheten Jesaja geschrieben steht: „Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg bereiten wird.“ „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Pfade gerade!“ Johannes trat auf und taufte in der Wüste und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. (Markus 1,1-4)

Markus spricht vom Anfang des Evangeliums Jesu Christi, das durch Johannes den Täufer eingeleitet wurde.

Auch Lukas spricht von einem „Anfang“, der mit dem Dienst von Jesus Christus zu tun hat. Diejenigen, die anderen davon berichtet haben, sind „Diener des Wortes“:

Da es nun schon viele unternommen haben, einen Bericht von den Ereignissen zu verfassen, die sich unter uns zugetragen haben, wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind, hat es auch mir gut geschienen, der ich allem von Anfang an genau gefolgt bin, es dir, hochedler Theophilus, der Reihe nach zu schreiben, damit du die Zuverlässigkeit der Dinge erkennst, in denen du unterrichtet worden bist. (Lukas 1,1-4)

Es ist offensichtlich, dass Markus und Lukas nicht vom Anfang der irdischen Schöpfung sprechen. Vielmehr sprechen sie vom Anfang des Dienstes Jesu Christi, der von Johannes dem Täufer eingeleitet wurde.

Der Betreiber von „The Trinity Delusion“ geht davon aus, dass Johannes in seinem Prolog auch diesen Anfang gemeint hat. Demnach steht die Verkündigung des Reiches Gottes im Vordergrund. Die Rede war von Gott und seinem Reich. Und diese Rede erfüllt sich in der Person von Jesus Christus, durch dessen Dienst sich das Reich Gottes ausbreitet.

Dabei verweist er auf Parallelen im 1. Johannesbrief:

Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens – und das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist – was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. (1. Johannes 1,1-3)

Hier wird das „Wort des Lebens“ bzw. das „Leben“ greifbar in menschlicher Form, und zwar in der Person von Jesus Christus. Dort steht nicht, dass es sich um „Gott selbst“ handelt. Vielmehr lesen wir davon, dass sich das ewige Leben materialisiert hat und erschienen ist. Das Wort, das sie gehört haben ist „das Wort des Lebens“, und das verkündigt Johannes – gemeinsam mit den anderen Aposteln.

In Johannes 1, 14 finden wir einen ähnlichen Vers.
Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Das Wort, das verkündigt wurde, hat sich materialisiert, das bedeutet: vorher wurde es verkündigt, nun ist es greifbar. Und sie sehen die Herrlichkeit von dem, was sie zuvor gehört hatten. Es ist „eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
Die Elberfelder Übersetzung weist beim Wort „Eingeborenen“ in einer Fußnote auf die Bedeutung des griechischen Begriffs hin:
griech. monogenes; d. h. einzig in seiner Art; o. einziggeboren; o. einzig
Jesus ist der einzige seiner Art. Das kann man als Bezug zur übernatürlichen Zeugung (Lukas 1,35) sehen.
Trinitarier machen häufig den Fehler, das Wort (in Vers 1) mit Jesus gleichzusetzen. Aber das ist erst in Vers 14 der Fall. Erst dort, als sich das Wort erfüllt, ist von Jesus die Rede. Das Wort wird Fleisch, das Wort erfüllt sich, es wird greifbar in einer Person, und diese Person ist Jesus, der Gesalbte Gottes.
Es wird immer wieder behauptet, dass Jesus der Schöpfer ist, unter anderem auf Grund der Worte von Johannes 1 Vers 3:
Alles wurde durch dasselbe, und ohne dasselbe wurde auch nicht eines, das geworden ist.
Dabei wird aber ausgedrückt, dass alles durch das Wort entstanden ist – nicht, dass Jesus der Schöpfer ist. Dennoch ist die Frage, ob hier wirklich die materielle Schöpfung oder eben die neue Schöpfung des Reiches Gottes durch die Verkündigung gemeint ist.
Sicherlich passt dazu die gängige Übersetzung in Vers 2 nicht, wonach das Wort am Anfang „bei Gott“ war. Aber je nach Übersetzung können hier andere Präpositionen verwendet werden. Die verwendete Präposition im Griechischen (πρὸς = pros) ist eine richtungsanzeigende Präposition. Demnach könnte man sagen, dass das Wort Gott zugewandt war. Die genauere Bedeutung möchte ich an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausführen. Das wäre eigentlich die Aufgabe der Übersetzer.
Wichtig ist, dass im Neuen Testament eine neue Schöpfung durch Jesus Christus entsteht, indem er die Schöpfung mit Gott durch sein Werk versöhnt.

Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Alles aber von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat, nämlich dass Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnte, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der Versöhnung gelegt hat. (2. Korinther 5,17-19)

Ein weiterer Grund, warum Trinitarier einen personifizierten Logos im Johannes-Prolog vermuten, ist Vers 4:
 In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.

Mit „ihm“ ist aber keine männliche Person gemeint, sondern „das Wort“. In manchen Übersetzungen werden schon in Vers 3 Pronomen verwendet, die zu einer männlichen Person gehören. Die Begründung dafür ist, neben der trinitarischen Auslegung, dass das verwendete Pronomen im Griechischen (αὐτῷ = autō) grammatikalisch männlich ist. Das stimmt zwar. Aber das Pronomen ist deswegen grammatikalisch männlich, weil das Wort λόγος (logos) ebenfalls männlichen grammatikalischen Geschlechts ist. Das gibt es ja auch im Deutschen, dass Begriffe männliche Artikel haben, die keine männliche Person sind: der Baum, der Schuh, der Begriff, der Drucker, der Tisch, um nur ein paar zu nennen.

Deswegen handelt es sich bei dem Wort („logos“) nicht um eine männliche Person, was im Sinne der griechisch-philosophischen Logos-Lehre wäre, sondern um das Wort im Sinne von Verkündigung, Rede, usw.


Die ausführliche Ausarbeitung des Betreibers der Webseite und des YouTube Kanals „The Trinity Delusion“ findet man hier in englischer Sprache:
(Ganz unten findet man das Video zum Text.)
Wer weitere Ausarbeitungen von Unitariern lesen möchte, den könnte entweder dieser Text von Markus Schumacher:
oder dieser Text von Stephan Gerber:
interessieren.

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