Der Johannes-Prolog – Teil 3

Nach Betrachtung des Begriffs „logos“, seiner verschiedenen Bedeutungen und der Verwendung in der griechischen Philosophie ist es verwunderlich, wieso es kaum Hinweise darauf gibt, dass der Trinitätslehre ein philosophisches „logos“-Verständnis  zu Grunde liegt. Auch in den gängigsten Übersetzungen der Bibel findet man kaum oder keine Hinweise auf die weitreichende Bedeutung des „logos“-Begriffs.

Die Einheitsübersetzung weist zumindest darauf hin, dass der „logos“-Begriff auch in der griechischen Philosophie eine große Rolle gespielt hat. In einer Fußnote heißt es:

1-18: Der griechische Ausdruck für «das Wort» (ho lógos) hat auch eine Bedeutungsgeschichte in der griechischen Philosophie, knüpft hier aber an den biblischen Schöpfungsbericht (Gen 1: «Gott sprach») und jüdisch-griechische Gedanken über die «Weisheit» und das «Wort» an, durch die man Gottes Schöpfungstätigkeit verdeutlichte. Das ewige vorweltliche Sein Jesu Christi und seine Beteiligung an der Schöpfung treten auch in anderen urchristlichen Bekenntnissen und Liedern hervor (vgl. 1 Kor 8,6; Phil 2,6; Kol 1,15-20; Eph 1,4; Hebr 1,2f). So vermuten viele Forscher auch hinter dem Prolog des Johannesevangeliums ein urchristliches «Logos-Lied».

Dieser Absatz ist dabei aber alles andere als neutral, vielmehr wird das philosophische Verständnis des „logos“ als aus der Schrift hervorgehend bezeichnet. Das stimmt aber nicht. Auch die erwähnten Schriftstellen, die im Neuen Testament angeblich beweisen, dass Jesus an der Schöpfung beteiligt war, sind fragwürdig. Aber das muss an anderer Stelle geklärt werden.

Richtig ist jedoch, dass der Prolog des Johannesevangeliums an ein „Logos-Lied“ erinnert. Falsch ist aber die Behauptung, dass dies ein „urchristliches“ Lied war. Vielmehr handelt es sich dabei um ein Lied, das bereits vor Entstehung des Christentums verbreitet war. Letztlich steht jedoch die Frage im Vordergrund, weshalb Johannes diesen Hymnus als Einführung in sein Evangelium verwendet und ob er das damit verbundene griechisch-philosophische Denken übernahm, oder ob er andere Vorstellungen damit verbunden hat.

Und diesbezüglich gibt es verschiedene Meinungen. Während viele Trinitarier sich gar nicht der Dimension ihrer Auslegungen des Johannes-Prologs bewusst sind, die auf griechischer Philosophie basieren, gibt es Theologen, die sich dessen durchaus bewusst sind und diese Tatsache thematisieren und deuten. Karl-Heinz Ohlig schreibt dazu:

… der Johannesprolog, ursprünglich ein vorchristlicher Hymnus, der in Gottesdiensten jüdisch-hellenistischer Gemeinden gebetet wurde, zeigt, dass die Vorstellung von einem Logos als immanentem demiurgischem Prinzip neben Gott weiter verbreitet war: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott [göttlich] war der Logos. Dieser war im Anfang bei Gott. Alles ist durch ihn geworden, und außerhalb von ihm ist nichts geworden, was geworden ist…“ (Joh 1,1-3).

Dass hierbei die Sehnsucht, auch die griechische Gottesvorstellung mit einbringen zu können, eine Rolle spielte, wird zusätzlich darin sichtbar, dass mit dem Logos vor allem seine demiurgische Funktion verbunden wurde. Deswegen „ist“ er auch (erst) „im Anfang“ (Gen 1,1); (…) Einen bewussten Versuch, Einheit mit Zweiheit auch theoretisch zu vermitteln, stellt die Lehre von der zweifachen Seinsart des Logos dar, der einmal von Ewigkeit her in Gott und mit ihm identisch ist (als lógos endiáthetos, als Gott immanenter Logos), zum anderen aber zum Zweck der Weltschöpfung „im Anfang“ aus Gott hervortrat (lógos proforikós) und in dieser „selbstständigen“, hypostasierten Gestalt dann zum Prinzip der Schöpfung wurde.

Dieses Schema ist bei Philon, im vorchristlichen Teil des Johannesprologs und bei den frühchristlichen Apologeten greifbar. Berauscht von den schönen Begriffen, wurde erst viel später, theoretisch schon von Origenes, für die breitere Öffentlichkeit schließlich im Konflikt mit der Theologie des Arius, bewusst, dass der „im Anfang“ hervortretende Logos zeitlich, veränderlich und kreatürlich gedacht werden müsste, sodass er auf jeden Fall ein anderer als der gottimmanente Logos ist, mit dem ihn nur die Vokabel Logos, nicht aber das jeweils damit Gemeinte, verbindet: Der eine Logos ist nur ein anderer Name für Gott, der zweite Logos ist eine aus „Gott schlechthin“ herkünftige separate göttliche Entität mit zeitlichem Anfang.“ [1]

Durch diese Äußerungen wird einerseits klar, dass „der fleischgewordene Logos“ in den ersten Jahren der Kirchengeschichte zunächst nicht als ewiger Teil Gottes betrachtet wurde. Andererseits deutet Ohlig den Johannes-Prolog eindeutig so, dass Einflüsse griechischer Philosophie eingeflossen sind.

Von Unitariern gibt es dazu andere Meinungen. In einem Beitrag zum Johannes-Prolog schreibt Markus Schumacher unter anderem:

Zum Ursprung von Johannes 1,1-18 sollte man wissen, dass in Auszügen ein sehr ähnlicher Text in den Synagogen der Juden in Alexandrien gebetet wurde.

Bei einigen evangelikalen Unitariern hat dieser Umstand dazu geführt, die Verfasserschaft des Johannes für den Text in Frage zu stellen, und als spätere Einfügung der durch die griechische Philosophie geprägten Kirchenväter zu betrachten.

Ich selbt vertrete die Auffassung, dass Jesus Christus und die Apostel durchaus gebildete Menschen waren, auch wenn sie nur Handwerker und Fischer waren. Aber sie waren stets bemüht, die Gedanken ihrer Zeit im biblischen und geistlichen Sinn zu interpretieren. Paulus ist ein offensichtliches Beispiel dafür, wenn er auf dem Philosophenberg in Athen die Aussage eines griechischen Philosophen zitiert: In ihm leben, weben und sind wir.

Es darf von daher angenommen werden, dass Johannes um die Gebete wusste, welche in den griechisch geprägten Synagogen gebetet wurden und er Aussagen daraus als Vorlage für sein Vorwort benutzt hat. (Johannes 1,1-18)

Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass Johannes seinen Text im biblisch-jüdischen Sinn unter der Voraussetzung, dass Gott einer ist, verstanden haben wollte, und nicht im griechisch philosophischen Sinn. Der Gedanke, das Wort als von Gott unterscheidbaren persönlichen Logos oder als 2. Person der Gottheit zu betrachten, wäre ihm nie in den Sinn gekommen.

Das Wort von Gott wurde stets als ein von Gott gesprochenes Wort angesehen, welches er den Propheten enthüllt hatte und welches sie an das Volk richteten. So ließ Gott die Propheten teilhaben an seinen Vorhaben und seinen Plänen. Das Wort gehört in jedem Fall zu Gott und kann nicht von ihm getrennt werden. [2]

Die Gesamtheit der Aussagen der Schrift, auch des Neuen Testaments, stützen die These von Schumacher. Insbesondere zwei Fakten sollten nicht leichtfertig übersehen werden.

  1. Johannes schreibt gegen Ende seines Evangeliums, dass er mit seinen Schilderungen klar zum Ausdruck bringen will, dass Jesus „der Christus“ und „der Sohn Gottes“ ist.

    Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen. (Johannes 20, 31 / LUT2017)

  2. Paulus macht ganz klar, dass philosophische Einflüsse zu meiden sind:

    Seht zu, dass euch niemand einfange durch die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus. (Kolosser 2, 8 / LUT2017)

Diese Aussagen sind eindeutig und sprechen klar gegen eine philosophische Auslegung des Johannes-Prologs. Auch Ohlig spricht in seinem Buch klar davon, dass die Gesamtheit der Schrift weder die Trinitätslehre stützt, noch davon ausgeht, dass Jesus der Gott Israels (Jahwe) ist.

Joel Hemphill äußert sich in seinem Buch „Gott und Jesus“ wie folgt zu diesem Thema:

Es ist richtig, dass die griechischen Kirchenväter nach dem Tod der Apostel dieser falschen platonischen Lehre von dem „göttlichen Logos“ nachgefolgt sind und sie fälschlicherweise auf den Messias Jesus angewandt haben. Die Behauptung, dass der Apostel Johannes Heraklit, Sokrates, Platon, den Stoikern und Philon in deren Vorstellungen von dem Schöpfer und seinen Beziehungen zur Welt nachgefolgt ist, ist jedoch eine große Beleidigung für ihn und den heiligen GOTT, DER ihn zum Schreiben berufen und inspiriert hat! [3]

Diese Ansicht kann man sicherlich gut nachvollziehen, insbesondere vor dem Hintergrund der oben genannten zwei Punkte.

Wie Johannes nun genau seinen Prolog verstanden wissen wollte, können wir ihn leider nicht persönlich fragen. Fest steht aber, dass es verschiedene Auslegungen seines Prologs gibt. Dass die trinitarische Auslegung vorherrschend ist, erklärt sich durch die Kirchengeschichte. Dennoch ist festzuhalten, dass es Konsens ist, dass die trinitarische Auslegung des Johannes-Prologs auf (griechischer) Philosophie basiert.

Trinitarier sollten sich im Klaren darüber sein, woher ihre Interpretation des Johannes-Prologs kommt. Wollen sie wirklich darauf beharren, dass Johannes griechisch-philosophische Einflüsse verinnerlicht und verbreitet hat?

 


[1]  Karl-Heinz Ohlig: „Haben wir drei Götter? Vom Vater Jesu zum »Mysterium« der Dreifaltigkeit“; topos; S. 38f.

[2] Markus Schumacher: „Johannes-Prolog (Joh. 1,1-18)“; URL: http://trinitaet.com/literatur/schumacher/177-johannes-prolog

[3] Joel W. Hemphill: „GOTT und Jesus – Eine Untersuchung des biblischen Unterschieds“; Trumpet Call Books; S. 234.

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